Wie oft am Tag höre ich: „Ich muss …“ – von anderen und von mir selbst.
Ich muss noch schnell dies und dann muss ich noch das. Das eine muss noch schnell erledigt werden, damit dann das andere noch Platz findet. Da muss ich noch etwas optimieren, dort muss ich etwas dezimieren. Und zu all dem muss ich mich auch motivieren.
Das Muss ist eine harte Nuss.
Das MUSS-Monster sieht alles, überblickt alles, kriecht in alle Ritzen des Lebens, wirbelt Staub auf und ist sich selten zu blöd immer mehr zu finden was es noch zu tun gäbe. Es kommt zum Ich (Ich muss), oft auch mit dem Du (Du musst) und gerne mit dem man (man muss).
Du musst dein Leben ändern. (Peter Sloterdijk) Du musst dein Ändern leben. (Rainer Maria Rilke) Du musst dich entscheiden. Ich muss geduldig sein. Du musst aktiv werden. Du musst endlich loslassen. Du musst kämpfen. Du musst verwundbar sein. Man muss investieren. Man muss sparen. Du musst die Wahrheit sagen. Ich muss schlafen. Ich muss glücklich sein. Ich muss essen. Man muss erfolgreich sein. Man muss vertrauen. Man muss Bewegung machen. Ich muss mich erinnern. Du musst vergessen. Du musst …
Kreativer Spielraum ist ihm fremd, dem MUSS. Verhandeln endet in einer Rechtfertigung. Sein Motto: „Was du heute kannst besorgen, dass verschiebe nicht auf morgen.“ Nicht vergessen darf es werden – das Muss.
Das Muss weiß, was Du brauchst – am besten jetzt sofort. In Ratschlägen taucht es gern ganz plötzlich auf: „Dann musst du halt …“ Besserwisser haben das Muss gepachtet: „Da musst du nur …“.
Ach, wie wäre es, wenn wir einfach weniger müssen müssten?
„Gar nichts erlebt. Auch schön.“
Tagebucheintrag von Wolfgang Amadeus Mozart, 13. Juli 1770
Eine meiner Lieblingskolumnistinnen Meike Winnemuth meinte, dass „ich muss“ sei ein „leidiger Glücks-Verhinderer“. Im Stern schrieb sie einst: „Oft ist es nur eine Frage der Formulierung, die dafür sorgt, dass man sich die Entscheidungsfreiheit wieder zurückerobert und aus der eingebildeten Knechtschaft befreit.“
So machen wir das Muss mit der Muße bekannt: auch `mal Neune gerade sein und die Seele baumeln lassen. Anstelle von „ich muss“ sagen wir nunmehr „ich will, WEIL …“ – lockern unsere Sprache, kommen unseren Motiven auf die Spur und hinterfragen, ob wir das wirklich wollen, was wir gedacht haben zu müssen.
„Quält Dich aus tiefster Brust, das harte Wort „Du musst“ –
so macht Dich eins nur still, das stolze Wort „ich will“.
Johann Wolfgang von Goethe